Vor ein paar Wochen rief Annika von Näh-Connection zum Probenähen vier verschiedener Hemden auf. Unter Anderem war auch ein Herrenschnitt dabei. Ein Herrenhemd stand schon sehr lange auf meiner to-sew-Liste. Und der Grund, warum ich mich auf diesen Aufruf gemeldet habe, war, dass ich bei solchen Projekten den Druck brauche. Das Hemd muss bis zu einem bestimmten Tag X fertig genäht, fotografiert und präsentiert werden. Im Nachhinein bin ich wieder einmal sehr froh, mich gemeldet zu haben, denn ich bin mir sicher, ich hätte es, ohne die Deadline, nicht fertiggestellt.

Natürlich wollte ich ein Hemd für meinen Mann nähen. Mein Mann ist wirklich ein sehr dankbares Modell. Er freut sich immer über meine Geschenke. Entweder weil ich tatsächlich ein Händchen dafür habe ihn glücklich zu machen, oder aber, weil er so dermaßen gut erzogen ist und sich niemals trauen würde zuzugeben, wenn es nicht das Richtige war, um mich nicht zu verletzen. Beides ist möglich. Und auch wenn mir Variante eins natürlich lieber wäre, liebe ich ihn für beides. 
Die Stoffauswahl. Als Besitzerin eines Stoffladens müsste man meinen, dass dieser Punkt schnell abgehandelt ist. Immerhin gibt es genug Auswahl. Aber ich gebe zu, dieser Punkt bereitete mir schon zum ersten Mal Kopfzerbrechen. Es sollte selbstverständlich ein einzigartiges Hemd werden. Nicht eines, das man genau so im Laden finden würde. Ich dachte an ein ausgefallenes Muster, an einen Stoff, bei dem man nicht zuerst an ein Herrenhemd denkt. Andererseits sollte es aber auch ein Hemd werden, das mein Mann immer tragen kann. Bei einer wichtigen Besprechung in der Arbeit z.B. – als Glücksbringer sozusagen. Dementsprechend darf es dann auch nicht zu ausgeflippt sein. Dazu neige ich ja manchmal. Also fiel meine Wahl auf einen eher schlichten Double Gauze Stoff von Robert Kaufman. In jeansblau. Eigentlich wollte ich es dann wirklich komplett aus diesem Stoff nähen, aber konnte es dann doch nicht lassen, wenigstens den Kragensteg und die Manschetten mit einem Kontraststoff zu versehen, nämlich einem Canvas von Cosmo. 
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Für das Nähen hatte ich zwei Vormittage eingeplant. Daraus wurden schließlich fünf. Ich habe bei früheren Projekten gelernt, etwas nicht auf Biegen und Brechen fertig zu bekommen, sondern die Sachen auch einmal beiseite zu legen und am nächsten Tag weiterzumachen. Es waren einige Schritte dabei, die ich noch nie genäht hatte, wie z.B. die Patte am Ärmel. Das ist der Ärmelschlitz. Sieht toll aus, wenn er fertig ist, kostet aber auch ein bisschen Zeit, weil man an dieser Stelle (wie eigentlich immer, ich weiß…) sehr genau arbeiten muss. Das Schnittteil muss akribisch auf den Stoff aufgezeichnet werden, da geht es tatsächlich um Millimeter. Nach jedem Schritt muss ordentlich gefaltet und gebügelt werden. Im Ebook ist das super erklärt, mir half aber auch das Sew-along des Schnitts bei Thread Theory.
Ich dachte, dass dieser Schritt der einzig knifflige für mich sein wird. Welch ein Irrtum! 😀 Am schwierigsten fand ich tatsächlich die Ärmel einzusetzen und die Seitennähte zu schließen. Denn das wird mit einer Kappnaht gemacht. Natürlich kenne ich Kappnähte und habe diese schon mehrere Male genäht. Aber hier verschwinden die Nahtzugaben nicht einfach innen, so wie ich es gewohnt bin, sondern werden im letzten Schritt umgebügelt und von rechts abgesteppt. Das brachte mich schier zum Toben. Der Double Gauze franste ziemlich, die Bügelei hat mich wahnsinnig gemacht. Der Punkt war erreicht, an dem ich das Hemd am liebsten in die Tonne geworfen hätte. Alles sah bisher so schön aus und dann diese verhunsten Nähte am Ärmel. Tief durchatmen. Erstmal liegen lassen und eine Nacht drüber schlafen.
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Wir sind also beim Punkt intrinsische Motivation versus extrinsische Motivation angekommen. Mein Schwachpunkt schlechthin. Hätte ich nicht den Druck gehabt bis zu einem bestimmten Termin fertig zu sein, hätte ich ganz sicher beschlossen, dass mein Mann eigentlich überhaupt kein Hemd braucht und hätte aufgegeben, ohne einer Menschenseele ein Sterbenswörtchen davon zu erzählen. Das kann ich gut. Ich verschwende keinen Gedanken mehr daran, es macht mir NICHTS aus. Erst wenn irgendeine Form von äußerem Druck ins Spiel kommt, etwa weil ich schon jemandem davon erzählt habe, oder weil jemand etwas Bestimmtes von mir erwartet, überwinde ich meinen inneren Schweinehund und habe das Pflichtbewusstsein diese Erwartungen zu erfüllen und Niemanden zu enttäuschen. Intrinsische Motivation heißt also, von sich aus angespornt zu sein, Etwas zu tun. Extrinsische ergo von außen motiviert zu sein. Das beste Beispiel ist die Schule. Wir Lehrer sind dazu angehalten es zu schaffen, die Schüler intrinsisch zu motivieren, sie sollen selbst das Bedürfnis haben zu lernen, weil sie wissbegierig sind und nicht deswegen, weil Nichtlernen zur Folge hat schlechte Noten zu bekommen. Eine hohe Kunst ist das, wie ich finde. Bei mir hat es in der Vergangenheit wohl niemand geschafft diesen Schalter zu aktivieren und ich bin voll und ganz extrinsisch konditioniert. Das finde ich oft furchtbar schade. Gar nicht auszudenken, was diese wesentliche Eigenschaft eigentlich mit mir macht. Kennt ihr das? Ich bewundere deshalb ehrgeizige Menschen. Etwas bis zum Schluss durchzuziehen, weil man es wirklich will und nicht weil man durch äußerliche Eindrücke beeinflusst wird. Das soll allerdings jetzt nicht heißen, dass es grundsätzlich so bei mir ist. Natürlich, wenn ich etwas wirklich will, bemühe ich mich darum, bis ich es bekomme. Es ist auch kein Drama an sich. Aber andererseits ist es auch nicht verkehrt ab und an über sich selbst zu reflektieren. Warum mache ich dieses und jenes? Will ich es wirklich? Was ist mir wichtig. Ich könnte an dieser Stelle nun eine Brücke zum Thema Entschleunigung oder Konsum im Allgemeinen schlagen. Möchte ich nicht. Stattdessen schaffe ich eine Verbindung zum Thema Freundschaft. Wahnsinn, wie viel man zum Nachdenken kommt, wenn man so ein Herrenhemd näht, haha!! 🙂 
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Weiter ging es mit den Seitennähten. Ich machte es auf meine Weise und ignorierte die Anleitung (böses Foul). Denn die Nahtzugaben sind genau so berechnet, wie es notwendig ist und nicht so wie ich es gebraucht hätte. Das war letztendlich der Grund, wieso ihr auf den Fotos nicht das strahlende Lächeln MEINES Mannes seht, denn das Hemd war ihm leider zu eng. Für ein Foto wäre es sicherlich gegangen, aber ich weiß, dass es an einigen Stellen unbequem war für meinen Mann und es spannte. Somit hätte er es wohl nicht tragen können. Am Samstag vormittag war ich hin und hergerissen, wie es denn nun mit dem Hemd weitergehen sollte. Ein befreundetes Pärchen von uns kam zu mir in den Laden. Und als ich Tom so stehen sah, war klar, für wen das Hemd bestimmt war. Es hat ihm auf Anhieb gefallen und hat einfach perfekt gepasst. Wie maßgeschneidert quasi. So handelten wir den Deal aus, dass er noch Knöpfe besorgen und sich für Fotos zur Verfügung stellen sollte und er dafür das Hemd bekommt. Er hat sich wirklich darüber gefreut und ich mich wiederum über seine Freude. Perfekt. Die letzten Schritte Knopflöcher und Knöpfe annähen haben zum Schluss nochmal richtig Spaß gemacht und als das Hemd fertig war, gefiel es mir selber richtig gut. Klar, es ist nicht perfekt, nicht alle Nähte sind ganz gerade, aber fürs erste Mal ist es wirklich schön geworden. 
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Was hat nun intrinsische Motivation mit Freundschaft zu tun? Mir ist aufgefallen, dass ich in diesem Bereich in den letzten Jahren sehr viel dazu gelernt habe. Denn was Freundschaften betrifft, bin ich sehr heikel und wählerisch geworden und absolut intrinsisch motiviert. Wir leben nun schon einige Jahre hier in der Gegend. Gerade durch die Kinder, aber auch durch unsere Arbeit, Nachbarn, usw, lernt man schnell viele neue Leute kennen. Mein Mann ist da schon immer rigoros. Bekanntschaften pflegt er nicht. Wenn er auf jemanden keine Lust hat, merkt das sein Gegenüber sehr schnell. Für meine Begriffe manchmal etwas zu schnell. Aber im Endeffekt hat er total recht. Wieso soll man seine Zeit mit Leuten verbringen, auf die man eigentlich keine Lust hat? Ich weiß noch als wir neu hier im Landkreis waren. Meine mittlere Tochter war gerade frisch geschlüpft und so drehten sich meine Kontakte eher rund ums Baby. Man hat sich verabredet in irgendwelchen Gruppen oder auch zu Hause. Wie oft habe ich kurz bevor jemand kam noch einen panischen Rundgang durchs Haus gemacht. Damit auch ja nichts rumliegt, was unter frisch gebackenen Müttern als Teufelszeug gilt. Kennt ihr das? Mach bloß alles richtig, sag nichts Falsches. Und ja: impfe auch dein großes Kind, dass ihm ja nichts herausrutscht. Von wegen TV am Nachmittag oder irgendwas von Milchschnitte bis hin zu Schokolade. Das war einfach nur extrem stressig. Wir verbrachten anstrengende Nachmittage, führten langweilige Gespräche. Wozu denn eigentlich? Mittlerweile nennen wir eine Handvoll Menschen, oder vielleicht ein bisschen mehr, Freunde. Und das ist wirklich schön. Für meine Freunde würde ich alles tun, aus eigener Motivation, weil es mir Freude macht. Gerade weil wir unmittelbar in der Nähe keine Verwandtschaft haben, bin ich momentan sehr glücklich sehr liebe Freunde um uns zu haben.  Das sind Leute, bei denen wir sein können, wie wir sind. Da kann auch mal eine Naht schief sein. Das muss man nicht vertuschen, sondern schreit es laut heraus. Es wird gelacht, gefeiert, getanzt und eigentlich reicht es auch, wenn sie einfach nur da sind und Zeit mit uns verbringen. Und wenn man sich auch eine Zeit lang nicht sieht, macht man beim nächsten Treffen genau dort weiter, wo man aufgehört hat. Sie gehören dazu und machen uns glücklich, weil es sie gibt. Ich weiß gar nicht, ob sie das hier lesen, aber wenn, wissen sie genau, dass sie damit gemeint sind. 
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Also ihr seht, ich habe nicht einfach nur ein Hemd genäht. Halleluja. Ich hoffe, ich hab hier niemanden abgeschreckt und ein paar von euch haben Lust bekommen, ja so wirklich Lust bekommen, sich Zeit zu nehmen und mal ein Hemd zu nähen. Crazy shit – danach seid ihr ein völlig neuer Mensch 😉
Dieser Blogpost ist der erste der dieswöchigen Blogtour von Annika. Dort werden nicht nur der Herrenhemd Schnitt Fairfield vorgestellt, den ich genäht habe, sondern insgesamt vier Schnitte für Frauen, Männer und Kinder. Ich habe schon einige Beispiele gesehen und bin wirklich baff, was da alles gezaubert wurde. Ihr müsst unbedingt vorbeischauen. Jeden Tag wird ein anderes Hemd gezeigt.
Hier mal die LINKS ZU DEN VIER SCHNITTEN um die es sich dreht:
* KIND – Bookworm Button Up (Blank Slate Patterns): 18 Monate bis 8 Jahre oder Körpergröße 84 – 130cm, 4 Varianten für Jungs und Mädels
https://blankslatepatterns.com/products/bookworm-button-up
* JUNIOR – Laramie (Hey June Patterns): 6 – 16 Jahre, Blusen-, Tunika- und Kleidlänge. durchgehende oder halbe Knopfleiste
Laramie ist eigentlich für Mädchen, kann aber da es locker geschnitten ist genauso für Jungs genäht werden, sofern diese noch nicht zu muskelbepackt sind. Dann einfach die Knopfleiste andersrum nähen und an den Seitennähten gerade zuschneiden.
http://www.heyjunehandmade.com/product/laramieshirt/
* MANN – Fairfield Button Up (Thread Theory): XS – 4XL, 2 Passformen (tailliert oder weiter)
https://threadtheory.ca/products/fairfield-button-up-shirt
* FRAU – Cheyenne Tunic (Hey June Patterns): XS-2XL, Blusen- oder Tunikalänge, durchgehende oder halbe Knopfleiste
http://www.heyjunehandmade.com/product/cheyenne-tunic/
Annika von Näh-Connection zeigt täglich die Links zu den Beiträgen:
https://www.facebook.com/naehconnection
https://www.instagram.com/naehconnection/
unter dem Hashtag #hemdenwoche findet ihr auf Instagram alle Fotos.
Ich freue mich auf alle folgenden Beiträge und ich danke dir Annika, herzlich, dass ich dabei sein durfte.
Habt eine schöne Woche, alles Liebe,
brina
 

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